Zweiter Teil Brief an Hrn. Dorfs StZ

Als ehemaliger DDR-Bürger habe ich schon früh Erfahrungen mit dem gemacht, was manche Menschen heute als „Lügenpresse“ bezeichnen. Bei den Tageszeitungen der DDR war unter deren Titel stets zu lesen, wer verantwortlich für den Inhalt war. Beim „Neuen Deutschland“ stand da „Zentralorgan der sozialistischen Einheitspartei Deutschlands“ und bei den regionalen Zeitungen „Organ der Bezirksleitung der SED“. Somit war jedem Leser sofort klar, wessen Interressen in der jeweiligen Zeitung vertreten wurden.

Das ist lange her und heute steht auf der Stuttgarter Zeitung: „Die unabhängige Zeitung für Baden-Württemberg“. Allerdings fällt es mir immer schwerer an diese „Unabhängigkeit“ zu glauben.

Besonders bei der Berichterstattung über das 1996 auf der internationalen Immobilienmesse „MIPIM“ als Immobilienprojekt vorgestellte STUTTGART 21 kommen mir da erhebliche Zweifel. Die Berichterstattung über das Projekt ist auffallend positiv und der ehemalige außenpoltische Ressortleiter Adrian Zielke sagte kurz vor seinem Rückzug in den Ruhestand den denkwürdigen Satz: „Ohne die Zustimmung der Stuttgarter Zeitung zu diesem Großprojekt würde, so vermute ich einfach mal, Stuttgart 21 nie gebaut werden.“

Nach neutraler Berichterstattung hört sich das nicht an.

Auch aktuell ist keine Neutralität zu erkennen. So verunglimpfte Ihr Redakteur Christian Milankovic kürzlich die Deutsche Umwelthilfe (DUH), indem er von einer Schlappe sprach, nur weil das Eisenbahn-Bundesamt (EBA) einen Weiterbetrieb der Panoramabahn zwischen Stuttgart-Vaihingen und Hauptbahnhof abgelehnt hatte. Da hat  Herr Milankovic grottenschlecht recherchiert, obwohl die Vorgeschichte sogar von Ihrer Zeitung veröffentlicht wurde.

Die DUH hatte das EBA aufgefordert, bis Ende Mai eine Entscheidung über die Zukunft der Panoramabahn vorzulegen. Dieser Aufforderung kam das EBA nicht (zumindest nicht fristegemäß) nach. Daraufhin klagte die DUH vor dem Verwaltungsgerichtshof in Mannheim gegen die Kappung der Strecke. Die jetzige Ansage des EBA, die Gleise zu kappen, hat keinerlei rechtliche Bedeutung. Die Anwälte der DUH hatten sogar mit einer solchen Entscheidung gerechnet. Herr Milankovic hat in seinem Bericht unterschlagen, dass diese Aussage des EBA keinerlei rechtliche Auswirkung hat und dass nur der VGH Mannheim oder eine übergeordnete Instanz eine diesbezügliche Entscheidung treffen kann.

Neutrale Berichterstattung?

Auch mehrere Rechtsgutachten, die unter anderem sogar von der Bahn selbst in Auftrag gegeben wurden, vertreten die Meinung, dass eine solch lange Unterbrechung der international bedeutsamen Bahnverbindung zwischen Zürich und Stuttgart bzw. dem Norden Deutschlands rechtlich nicht durchsetzbar sei. Auch davon kein Wort in der Stuttgarter Zeitung.

Ihr Kollege Josef-Otto Freudenreich schrieb eine Skandal-Chronik unter dem Titel „Wir können alles. Filz, Korruption & Kumpanei im Musterländle“. Allerdings veröffentlichte er diese Chronik erst, als er nicht mehr Chefreporter der Stuttgarter Zeitung war.

Mitte der neunziger Jahre, in BW regierte eine Große Koalition aus CDU und SPD, wurde deren politische Führung ins Weinberghäuschen gebeten. Dort trafen die Chefs von CDU und SPD auf einflussreiche Wirtschaftsbosse, Banker und Politiker, auch der amtierende Ministerpräsident Erwin Teufel war präsent. Und ebenso die Chefredakteure der wichtigsten Landeszeitungen Stuttgarter Zeitung, Stuttgarter Nachrichten, Südwest-Presse Schwarzwälder Bote.

Sicher war es kein Zufall, dass alle diese Zeitungen unter dem Dach der Südwestdeutschen Medien Holding (SWMH) vereint sind. Beim Abschied waren sich Wirtschaft, CDU, SPD und die Medien einig: Wir stehen hinter Stuttgart 21!

Anscheinend ist das auch bis heute so geblieben, trotz immenser Kostensteigerungen, fragwürdiger Leistungsfähigkeit und fehlendem Brandschutzkonzept.

Neutrale Berichterstattung?

Hat das vielleicht damit zu tun, dass die SWMH damals dringend Geld brauchte, um ihre Beteiligung am Süddeutschen Verlag 2008 um 62,5 % auf 81,25 % aufzustocken und deshalb von der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) ein Schuldscheindarlehen über 300 Millionen Euro bei fünfjähriger Laufzeit erhielt? Vorsitzender der Trägerversammlung der LBBW war damals übrigens der spätere Ministerpräsident Stefan Mappus, ein glühender Verfechter von Stuttgart 21.

Selbst als am 30.09.2010 („Schwarzer Donnerstag“) hunderte Menschen teilweise schwer verletzt wurden, leitartikelte die Stuttgarter Zeitung relativ sanft um das rigorose Vorgehen der Polizei herum. Sie selbst schrieben damals, es gehe bei Stuttgart 21 nicht um die „Würde des Menschen“ sondern um einen Bahnhof. Sitzblockaden seien daher unangemessen, ziviler Ungehorsam ebenso. 

Sie warfen den Projektkritikern vor, „unredlich“ zu argumentieren. Dabei sagt heute selbst Ministerpräsident Kretschmann: „Die Gegner haben in allen Dingen Recht behalten.“

Auch Verkehrsminister Hermann räumt ein, dass der Tiefbahnhof mit nur 8 Gleisen deutlich unterdimensioniert ist.

Und trotz allem bleiben die Stuttgarter Tageszeitungen weitgehend unkritisch. Viel wichtiger ist anscheinend, wenn wieder ein Sack Fertigbeton verbaut wurde und wenn die Bahn mal wieder Wein und Häppchen anbietet. Böse Zungen behaupten schon, dass sich die Verantwortlichen damit das Projekt „schön saufen“.

Jedenfalls ist die Berichterstattung der Stuttgarter Zeitung nach meinen Erfahrungen keineswegs neutral, was auch dazu führte, dass viele ihrer Leser ihr Abo kündigten.

Und damit wären wir wieder bei den Tageszeitungen der DDR: Dort wussten die Leser, dass die Presse einseitig im Sinne der Mächtigen berichtet. Hier und heute haben das leider viele Menschen noch nicht verstanden und vertrauen auf eine „unabhängige“ Berichterstattung.

Ich finde es bedauerlich, dass die beiden Stuttgarter Tageszeitungen nicht die Quellen nutzen, die ihnen zur Verfügung stehen. Unter den Kritikern von S21 gibt es sehr viele Fachleute, Ingenieure, Architekten und auch Eisenbahner mit jahrzehntelanger Berufserfahrung, die Ihr Wissen gern weitergeben.

Das wäre dann zwar wirklich neutrale Berichterstattung, aber wohl nicht im Sinne der Mächtigen, die an Stuttgart 21 Milliarden verdienen.

Demnach müssen wir uns wohl oder übel darauf einstellen, dass sich an der einseitigen Berichterstattung nichts ändert.

Spannend wird es wohl erst, wenn Stuttgart 21 die Betriebserlaubnis verweigert wird, wenn es im Tiefbahnhof oder in den Tunneln zu einem Brand kommt oder wenn nach der Inbetriebnahme alle Fahrpläne zu Makulatur werden und der Eisenbahnverkehr im „neuen Herzen Europas“ zusammenbricht.

Dann kaufe auch ich sicher wieder einmal eine Stuttgarter Zeitung!

Mit besorgten Grüßen

Peter Müller

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