Sehr geehrter Herr Dr. Lutz,
vor knapp 4 Wochen genehmigte der Aufsichtsrat der DB AG in einer sehr geheimgehaltenen Sitzung in der Bahnakademie, dem ehemaligen „Kaiserbahnhof“, in Potsdam einen Risikopuffer in Höhe von 495 Mio. € für Stuttgart 21.
Heute nun ist in allen Tagerszeitungen zu lesen, dass dieser Puffer bereits schon wieder so gut wie aufgebraucht sei.
Dabei liegen noch mindestens 6 Jahre Bauzeit mit jeder Menge Risiken vor der Bahn.
Gleichzeitig berichten viele Tageszeitungen heute erneut von der mangelhaften Kapazität der schrägen Halbtiefhaltestelle und darüber, dass mit Stuttgart 21 kein Deutschland-Takt möglich sei.
Die Bahn allerdings legte einen „Fahrplan 2030“ vor, bei dem für die unterirdische Station in Stuttgart nicht nur Doppelbelegungen geplant sind sondern auch Dreifachbelegungen.
Dabei sollen zunächst hintereinander zwei Züge halten. Dann soll der erste abfahren und der zweite nachrücken, um Platz für den dritten zu machen.
Und was macht dann zum Beispiel eine Mutter, die Ihr Kind in den Zug gehoben hat und nun Ihr Gepäck in den Zug bringen will, wenn der Zug plötzlich nachrückt?
Solche Pläne können doch nur einem kranken Hirn entspringen und würden wohl nirgends auf der Welt genehmigt.
Wenn man derartig fragwürdig versucht, das verkehrstechnisch unsinnige Projekt schönzureden, dann glaubt man wohl bei der Bahn selbst nicht mehr an das Märchen vom ITF in Stuttgart.
Herr Pofalla geht ja sogar soweit, dass er von 70 Zügen in der Stunde träumt. Dabei hat die Bahn selbst in den Planfeststellungsunterlagen angegeben, dass man für lediglich 32 Züge in der Spitzenstunde plane.
Der VGH in Mannheim bestätigte diese Zahl in einem Urteil, dem die Bahn nicht widersprach.
Ich würde Ihnen empfehlen, sich einmal von Dr. Christoph Engelhardt oder dem Verkehrsplanungsbüro Vieregg und Rössler (beide in München) beraten zu lassen.
Bis auf die ewig gestrige CDU haben mittlerweile alle Parteien erkannt, dass sie von der Deutschen Bahn jahrzehntelang betrogen wurden und dass sie nun nicht einmal den Bruchteil dessen bekommen, was Mehdorn und Grube versprochen hatten.
Der Baden-Wüttembergische Verkehrsminister Hermann fordert nun gar einen zusätzlichen unterirdischen Kopfbahnhof, um zu retten, was eigentlich nicht zu retten ist. Dabei wäre dies allein aus geographischen Gründen nicht einmal möglich.
Die Gleise aus Richtung Feuerbach und Vaihingen (Gäubahn) und die zugehörigen Überwerfungsbauwerke für kreuzungsfreies Einfahren in den Kopfbahnhof wurden schon am zulässigen Limit für Steigungen bzw. Gefälle gebaut.
Würde man nun Teile des Kopfbahnhofs nochmals 6 bis 8 Meter tiefer legen wollen, so würde das die gesetzlichen Werte um ein Vielfaches überschreiten.
Außerdem würde dieser Bau weitere Milliarden verschlingen, die die Bahn nicht hat.
Ich habe bis heute noch nicht verstanden, warum Bahn und Politik um jeden Preis an dem Projekt festhalten, das nicht nur Sie als vollkommen unwirtschaftlich bezeichnen.
Die Kosten laufen aus dem Ruder, es gibt Probleme mit Wasser, Anhydrit und Brandschutz und nun liegen Ihnen auch noch fast alle Parteien in den Ohren, weil die Haltestelle viel zu klein ist.
Wäre nicht jetzt der Zeitpunkt gekommen, innezuhalten und gemeinsam mit der Politik und auch den Projektgegnern zu überlegen, wie man aus der verfahrenen Situation herauskommt?
Es gibt ja Lösungsvorschläge, die sogar noch Geld sparen würden.
Das Projekt „UMSTIEG 21“ zum Beispiel wurde von hervorragenden Architekten und Ingenieuren entwickelt und könnte Stuttgart wirklich zu einem gut funktionierenden Verkehrsknoten machen.
Dabei könnte auch der zentrale Omnibusbahnhof wieder zentral in die Innenstadt verlegt werden, sodass Reisende schnell und komfortabel von der Bahn in die Busse und umgekehrt umsteigen könnten.
Sicher wäre der Stuttgarter OB Kuhn dann enttäuscht, wenn er seine „schönen Grundstücke“ nicht bekäme. Aber zum Ausgleich dafür könnte man schon heute das Areal am Nordbahnhof mit erschwinglichen Wohnungen bebauen.
Übrigens arbeite ich unter anderem ehrenamtlich an der Mahnwache gegenüber dem Stuttgarter Hauptbahnhof, die übrigens am 17.07.2019 ihr neunjähriges Bestehen feierte.
Da ich fast von Anfang an dabei bin, fällt mir auf, dass immer mehr ehemals glühende Befürworter des Projekts zu uns kommen und beklagen, dass die Bahn keins ihrer Versprechen gehalten hat.
So hatte Herr Mehdorn einmal behauptet, dass die Bürger Stuttgarts schon den Kopf in den Gully stecken müssten, um etwas von den Bauarbeiten mitzubekommen.
Die Realität sieht leider anders aus. Neulich beklagten Gäste aus der Schweiz, dass es in Stuttgart aussähe,wie nach einem Krieg.
Die Stadt erstickt im Dreck und wer mit der Bahn fahren möchte, darf zum Beispiel gerade jetzt wieder in Esslingen oder Vaihingen / Enz seinen Zug suchen, weil der Stuttgart nicht anfahren kann.
Aber das ist wohl nur ein Vorgeschmack auf Stuttgart 21.
Auch Mitglieder der Stuttgarter Berufsfeuerwehr hoffen, dass noch sehr viele Jahre bis zur Inbetriebnahme der Tunnel vergehen und sie bis dahin pensioniert sind. Das spricht doch Bände!
Warum also sind Sie „finster entschlossen“, das unwirtschaftliche, störanfällige und brandgefährliche Projekt, mit dem kein ITF möglich ist, gegen alle Vernunft fertigzubauen?
Unser grüner Ministerpräsident hat dazu übrigens einen passenden Spruch auf Lager: „Wenn’s nicht klappt, sehen wir wenn’s nicht klappt“.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen Vernunft, damit wir alle nicht erleben müssen, „wenn’s nicht klappt“.
Mit freundlichen Grüßen
Peter Müller