Und wieder Stuttgart21

Gemeinderatsmehrheit ignoriert wissenschaftliche Erkenntnisse zu Deutschlandtakt bei S21
Raus aus der postfaktischen Filterblase!

Vor dem Hintergrund, dass Stuttgart 21 die größte klimapolitische Stellschraube der Stadt ist, kann der Umgang der Rathausmehrheit mit der neuen Faktenlage beim Thema
Bahnhofskapazität nur noch als beschämend bezeichnet werden, so Bündnissprecher Dr.
Eisenhart von Loeper. Offensichtlich sei die Dramatik der Klimaentwicklung bei den
Verantwortlichen in Stuttgart noch nicht angekommen.
Ausgerechnet der Grüne Stadtrat Jochen Stopper war es, der mit seinem Eingangsstatement inder Sitzung des S21-Ausschusses am 16.Juni einen Beitrag des aus München angereistenBahnexperten Dr. Christoph Engelhardt zum Thema Deutschlandtakt ablehnte. Engelhardthatte in Verbund mit einer Reihe teils internationaler Bahnwissenschaftler in seinem Faktencheck-Portals WikiReal.org wochenlang die Zielfahrpläne der Bahn für S21 analysiert
und war zu dem Ergebnis gekommen, dass die Einführung des Deutschlandtakts, des
bundesweit akzeptierten Schlüssels zur dringend gebotenen Aufwertung des
Schienenverkehrs, bei Stuttgart 21 “absolut nicht fahrbar“ ist. Engelhardt schlussfolgert in
seinem nicht gehaltenen Folienvortrag, dass der Tiefbahnhof weite Teile Baden Württembergs vom Deutschland-Takt abhängen würde. Es ergäbe sich zwangsläufig ein ungeordneter „Kraut-und-Rüben-Fahrplan“ mit viel längeren Umsteigezeiten. „Wer etwa von Würzburg nach Zürich umsteigen wolle, muss 58 Minuten auf seinen Anschluss warten, bei Umstieg von Tübingen nach Karlsruhe sind es 21 bis 26 Minuten, von Straßburg/Freudenstadt nachWürzburg/ Nürnberg 37 bis 51 Min.“
Die Logik des Deutschlandtakts, im Fachjargon Integraler Taktfahrplan ITF genannt, ist die Gleichzeitigkeit der Ankünfte und Abfahrten von Fern- und Regionalzügen in einem
Zeitfenster von ca. 12 Min, der sogenannten Knotenzeit, die kurze Umstiege ermöglicht. Dies erfordert eine Kapazität von mindesten 14 Gleisen zuzüglich Reservegleisen. Um diese mathematischen Unausweichlichkeit zu umgehen, stellt die DB den ITF einerseits als für S21 gar nicht erforderlich dar, andererseits praktiziert sie die seit dem Stresstest vertraute Strategiedes manipulativen Hochrechnens der Kapazität von S21– etwa durch die Annahme völlig unrealistischer Gleis-Belegungsgrade von bis zu 100% (60% gelten bahnwissenschaftlich als absolutes Maximum) oder durch gar nicht zulässige Dreifachbelegungen der Bahnhofsgleise.
Von allem die Herren Kotz (CDU) und Körner (SPD), aber leider auch die Rathaus-Grünen, wollen von alledem lieber nichts wissen, spulen ihre altbekannten Sprechblasen und Ideologien runter und verharren, Klimawandel hin oder her, in ihrer „postfaktischen
Filterblase“ (Engelhardt). Einziger Lichtblick in diesem Trauerspiel ist der Vorstoß von Verkehrsminister Hermann, der immerhin einräumt, dass mit Stuttgart 21 die angestrebte Verdoppelung der Fahrgastzahlen nicht möglich ist. Aber auch er will die Gleise des Kopfbahnhofs abreißen, die mühelos den ITF und eine Verdoppelung der Fahrgastzahlen ermöglichen würden und fordert stattdessen  Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21, Donizettistraße 8 B, 70195 Stuttgart  info@kopfbahnhof-21.de  www.kopfbahnhof-21.de ergänzend zu S21 einen verkleinerten unterirdischen Kopfbahnhof, der weitere Kosten von vermutlich über 1 Mrd. € auslösen würde, die im Zweifelsfall Land und Stadt mit der Begründung „Verbesserung von S21“ übernehmen würden. Vor allem bedeute das eine erneute Betonorgie verbunden mit weiteren massiven CO2-Emissionen, so von Loeper. Das Aktionsbündnis begrüßt, dass in der Sommerpause eine Arbeitsgruppe über das Problem ITF bei S21 beraten soll. Von Loeper: „Dabei müssen die Erkenntnisse der Bahnexpert*innen um Dr. Engelhardt und Prof. Wolfgang Hesse am besten durch deren Beteiligung an der Arbeitsgruppe Berücksichtigung finden. Von Verkehrsminister Hermann erwarten wir, dass er
nicht weiter mit Halbwahrheiten und fragwürdigen taktischen Kompromissangeboten operiert,sondern die ganze Wahrheit als Voraussetzung für Lösungen in der Sache auf den Tisch bringt.“

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