Stuttgart 21 -Debatte“Kombibahnhof“ versus „Umstieg 21“

 

  1.  Ein Auszug von einer Stellungnahme von Winfried Wolf auf einen Leserbrief auf den Artikel Winfried Wolfs „Schienenverkehrsverhinderungspolitik“. Die ganze Stellungnahme ist zu lesen unter www.nachdenkseiten.de, erschienen am 08.10.2018
  2. Sunk costs
    Oder: Haste Scheiße am Bein, haste Scheiße am Bein.

    Die klassische Betriebswirtschaft kennt den Begriff der sunk costs; der versenkten oder verlorenen Kosten: Bei einem Projekt, das als grundsätzlich unwirtschaftlich identifiziert wird, darf der Unternehmer nicht argumentieren „Aber ich hab doch bereits so und so viel in die Sache investiert“. Beim BUND „Es wurden doch so und so viele Tunnelkilometer gebohrt“. Es müssen dann vielmehr die Kosten der Fehlinvestition komplett abgeschrieben und die Entscheidung eines Ausstiegs ohne Berücksichtigung dieser Kosten getroffen werden.

    Just so verhält es sich bei S21. Wenn das Projekt als unwirtschaftlich erkannt wird, muss es gestoppt werden – ohne Rücksicht auf bereits getätigte Investitionen. Wenn das Projekt zusätzlich als extrem riskant beurteilt wird, muss es erst recht umgehend beendet werden – weil es unwirtschaftlich und weil es zu riskant ist.
    Eine Umweltorganisation müsste noch ergänzend die Frage stellen: Ist das Projekt S21 schädlich für die Umwelt, für das allgemeine Klima und für das Stadtklima? Da all dies zutrifft, wäre auch von dieser dritten Seite aus ein klares „Nein“ zum Projekt und ein deutliches „Ja“ zum Ausstieg zu formulieren.
    Tut man dies nicht, dann gilt: Haste Scheiße am Bein, haste Scheiße am Bein. Ein oberirdischer Bahnhof mit acht Kopfbahnhofgleisen verknüpft mit 100 Prozent (oder 95 Prozent) S21-Tiefbahnhof minimiert höchstens unwesentlich die Unwirtschaftlichkeit des S21-Bahnhofs und reduziert nicht die Risiken, die mit S21 verbunden sind. Da ein solcher Bahnhof laut BUND sogar nochmals „etwas teurer“ wird, könnte er sich am Ende als noch unwirtschaftlicher erweisen.

    Ein Beispiel aus der Privatwirtschaft. Der Konzern ThyssenKrupp hat jüngst festgestellt, dass die Investitionen des Konzerns in Stahlwerke in den USA und in Brasilien Fehlinvestitionen sind. Diese Anlagen werden auf Dauer unwirtschaftlich sein. Die Konzernleitung beschloss 2017 den kompletten Ausstieg. Dabei ging es um mehr als acht Milliarden Euro (!), die derart in den Sand gesetzt wurden. Wobei hinzuzufügen ist: Die Konzernführung rang mit dieser Entscheidung ein knappes Jahrzehnt lang. Natürlich auch – ähnlich wie im Fall S21 – weil das Argument der bereits getätigten gigantischen Investitionen diese Entscheidung erschwerte. Doch die ThyssenKrupp-Konzernführung konnte sich am Ende zu diesem Schritt durchringen – und die „sunk costs“ als solche erkennen und in Gänze abschreiben.

    Inzwischen (seit April 2018) haben wir – und dies ist erstmals, seit Stuttgart21 im April 1994 vorgestellt wurde, der Fall! – das offizielle Eingeständnis seitens des Bahn-Managements: S21 ist unwirtschaftlich. Wir wissen (seit Juni 2018), dass die Wiederaufnahme des S21-Projekts unter Mehdorn dadurch zustande kam, dass der Bahn ein 15-Jahres-Nahverkehrsvertrag zugeschanzt wurde, mit dem sie einen Sondergewinn in Höhe von rund einer Milliarde Euro einfuhr. Wir haben die Erkenntnis, dass die S21-Kosten sich auf einer nach oben offenen Skala bewegen. Und wir haben die Erkenntnis, dass S21 mit enormen Risiken (Anhydrit; Überflutungsgefahr) verbunden ist.

    Es gebietet da die Vernunft, Klartext zu reden: Baustopp und ein optimierter Kopfbahnhof sind angesagt. Das Mindeste ist, die Konzeption Umstieg21 muss ernsthaft geprüft werden.

    Wenn dies der BUND nicht tut, wenn dieser seit mehr als vier Jahren immer wieder aufs Neue und entgegen den eigenen Einsichten denen in den Rücken fällt, die die sachlichen Argumente gegen S21 weiter vortragen und diese weiter auf die Straße tragen, dann spielen hier andere Motive eine Rolle. Letzten Endes schadet die Führung des BUND damit den Interessen der BUND-Mitgliedschaft. Auf diese Weise trägt man zur Demoralisierung der Mitgliedschaft und zum Verlust von Engagement bei.

    Denn natürlich muss alles getan werden, damit die wichtige Umweltorganisation BUND erhalten und gestärkt wird. Doch das Verhalten der Führung des BUND Baden-Württemberg in Sachen Stuttgart21 schwächt seit 2014 diese Organisation immer wieder aufs Neue.[8]

    Der neue Appell zum Ausstieg aus Stuttgart 21 wurde erstmals auf den NachDenkSeiten am 31. Juli vorgestellt. Dort wurde auch mitgeteilt, dass dieser an den Bundestag gerichtete Appell in der Frankfurter Allgemeinen Zeitungveröffentlicht werden würde. Es sprach viel dafür, dass die S21-Betreiber zeitnah einen Entlastungsangriff fahren würden, um vom eigentlichen Kern der Sache – der prinzipiellen Kritik am Monsterprojekt Stuttgart 21 – abzulenken.
    Die Präsentation des Altmodells Kombibahnhof exakt zehn Tage vor der Veröffentlichung des Appells zum S21-Ausstieg in der FAZ wirkte dann wie dieser zu erwartende Entlastungsangriff. Die Deutsche Bahn AG befindet sich beim Thema Stuttgart 21 erheblich in der Defensive. Das demonstrierte sie auch dadurch, dass am 29. September 2018 die Frankfurter Allgemeine Zeitung, die als Standard in den ICE-Abteilen der Ersten Klasse ausliegt, nicht verfügbar war. In dieser Ausgabe war der Appell zum Ausstieg aus Stuttgart21 abgedruckt.

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