Ein Nachschlag zu unserem Beitrag vom 08.02.2017: S21 – wieder einer „weg“.

Rede von Dr. Winfried Wolf, Verkehrsexperte, Journalist und Herausgeber von ‚Lunapark21‘, auf der 357. Montagsdemo am 6.2.2017

Nach Kefer macht sich Grube vom Gleisacker: Die Herren fürchten Anklagen wegen Untreue in Sachen Stuttgart 21 Liebe Freundinnen, liebe Freunde, heute vor einer Woche, am Montag, dem 30. Januar, gab es gegen 12.30 h einen wundersamen Akt in einer wundersamen Schmierenkomödie. Titel: „Ein Bahnchef macht sich vom Acker. Vom Gleisacker“. Offiziell hieß es, das sei spontan erfolgt. Mein Eindruck ist ein anderer; ich komme darauf zurück.

Grube schied laut einstimmigem Aufsichtsratsbeschluss an diesem Montag „mit sofortiger Wirkung“ aus dem Bahnchefamt. Doch tags darauf kam er doch noch in seinem Büro im Bahntower auf einen Sprung vorbei. Einfach so. Und da verfasste er einen Abschiedsbrief. Es ist ein allerliebstes Brieflein. Während alle früheren Grube-Schreiben einleitend adressiert waren an die „Liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“, heißt es dieses Mal, handschriftlich: „Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen“. Das ist echt dreist – sich derart an 300.000 Bahnbeschäftigte heranzuwanzen. Grube erhielt zuletzt im Jahr „Zuwendungen“ in Höhe von zwei Millionen und vierhundertvierunddreißigtausend Euro: 2,436 Millionen. Da in den Medien immer deutlich weniger genannt wird, hier nochmals die Aufschlüsselung nach dem letzten Geschäftsbericht: Der Kollege Grube erhält 900.000 Euro feste Vergütung plus 522.000 Euro variable Vergütung plus „Sonstiges“ im Wert von 17.000 Euro (überwiegend „geldwerte Vorteile“) plus 997.000 Euro „Zuführung zu den Pensionsrückstellungen“1 . Jetzt schreibt also der Kollege Grube • an den Kollegen Lokführer mit 2400 Euro netto, • an den Kollegen in der Instandhaltung mit 2250 Euro netto, • an die Kollegin Zugbegleiterin mit 1750 Euro netto, • an die Kolleginnen Reinigungskräfte mit je Person 1150 Euro netto einen Brief. Eben von Kollege zu den „lieben Kolleginnen und Kollegen“. Man kennt sich. Man ist vertraut. Am Ende des Briefs steht auch die intime Formulierung „mit herzlichen Grüßen und in großer persönlicher Verbundenheit verbleibe ich Ihr Rüdiger Grube“. Der Grube-Abschiedsbrief geht auch an Kolleginnen, die die Kantinen der Deutschen Bahn putzen. Diesen wurde vor ein paar Jahren mitgeteilt, dass sie in diesen bahneigenen Kantinen kein verbilligtes Essen zu Mitarbeiterpreisen bekommen. Dass sie „Straßenpreise“ zahlen müssen. Wörtlich hieß es dort: „Ihnen Rabatt zu gewähren, können wir uns nicht leisten.“ Der Kollege Grube hat auch zum 31. Dezember 2016 den rund 520 Beschäftigten der für den Nachtzugverkehr zuständigen Bahntochter DB ERS die Arbeitsplätz wegnehmen lassen. Diesen Kolleginnen und Kollegen wurden keine gleichwertigen Arbeitsplätze im Bahnkonzern angeboten. Die Nachtzüge wurden zum 11. Dezember 2016 komplett eingestellt, obgleich die Züge fast immer ausgebucht sind und es 2016 eine deutliche Zunahme der Nachtzug-Fahrgästezahl gab. Der Bahnkonzern und Rüdiger Grube verkauften alle Schlafwagen und viele Liegewagen an die Österreichische Bundesbahnen ÖBB, die rund 1 Zahlen für 2015; nach Geschäftsbericht 2015 vom März 2016, S. 41f. Allein die kleinste der vier Positionen, die als „Sonstiges“ deklarierten 17.000 Euro, machen monatlich 1416 Euro, was dem Nettodurchschnittsverdienst des Zugbegleitpersonals entsprechen dürfte. 2 die Hälfte der DB AG-Nachtzugstrecken übernahmen. Die ÖBB hat die Jobs in den Nachtzügen zum Subunternehmen Newrest ausgelagert. Die Newrest-Beschäftigten erhalten nach unseren Informationen einen tariflichen Grundlohn, der unter dem deutschen Mindestlohn liegt. Der Kollege Grube wird nach seinem Abgang weich fallen. Er wird jetzt kaum in der Hamburger Küche der Gattin Kartoffeln schälen müssen. Er verfügt über Pensionsansprüche von Daimler, EADS und der Deutschen Bahn AG. Kollege Grube schreibt in seinem Brief an die „lieben Kolleginnen und liebe Kollegen“: Ich bitte um Ihr Verständnis für meine Entscheidung. Aber, wie Sie wissen, komme ich vom Bauernhof. Da habe ich gelernt, was Geradlinigkeit und zu seinem Wort stehen bedeuten.“ Das ist ungeheuerlich. Als ob man auf dem Bauernhof einfach mal so sich vom Acker machen könnte. Würde so ein normaler Bahnbeschäftigter – ein echter Kollege, eine echte Kollegin – verfahren, in den Verhandlungen über Lohn und Gehalt einfach Knall auf Fall die Brocken hinschmeißen, dann wäre bei der Bahn das totale Chaos.

Und es gibt ja bereits ausreichend Chaos. Jetzt heißt es allerorten, man danke dem Kollegen Grube. So der Aufsichtsratschef Felcht. So der EVGChef Kirchner. So Kollege Grube selbst in einer Art Eigendank. Im Abschiedsbrief heißt es: „Ich bedanke mich bei Ihnen für die tolle Zusammenarbeit. Ich habe mit großer Leidenschaft und Freude dieses Unternehmen als Vorstandsvorsitzender fast acht Jahre lang geführt.“ Da lautet unsere Frage: Aber wohin hat Kollege Grube den Bahnkonzern denn „fast acht Jahre lang geführt“? Er hat schlicht das Werk von Dürr und Mehdorn fortgesetzt, drei Bahnchefs aus der DaimlerKaderschmiede. Alle waren sie als Abrissbirne unterwegs. Wobei eingestanden sei: Grube war die freundlichste aller Abrissbirnen. Anders als sein grimmgesichtiger Vorgänger verkaufte er alle Bösartigkeiten noch immer mit Lächeln im Gesicht. Tatsächlich aber setzte er das zerstörerische Werk bei der Bahn fort; ich nannte dies in der Zeitung „KONTEXT“ die Die Sieben Todsünden des Herrn G. Es handelt sich dabei um die folgenden:

Erstens setzte Grube – entgegen seinem Wortgeklingel – den Abbau des Brot- und Buttergeschäfts fort: Inzwischen liegt der Anteil des bahnfernen Geschäfts im Bahnkonzern bei oder sogar über 50 Prozent.

Zweitens betrieb Grube 2015/16 die Neubelebung der Bahnprivatisierung. Er wollte bei den beiden strategischen Bahntöchtern Schenker Logistics und Arriva Heuschrecken als Anteilseigner hereinholen. Was der Einstieg in die Teilprivatisierung gewesen wäre. Es waren Widerstände aus dem Bereich Politik und Gesellschaft, die dieses Vorhaben im Oktober 2016 scheitern ließen – Grube wollte das durchziehen.

Drittens gab es unter Grube eine Verschärfung der Krise im Schienenpersonenfernverkehr. Die Normalpreise wurden in der Grube-Ära nochmals um 20 Prozent angehoben. Gleichzeitig werden immer neue Billigtickets auf den Markt geworfen. Bahnfahren heißt immer mehr Schnäppchenjägerei. Doch das schadet dem Image der Schiene. Finanziell bringt es nichts. Vor allem wendet sich die Stammkundschaft zunehmend ab. Die Zahl der BahnCard 50-Besitzer sank in der Grube-Zeit von 1,7 Millionen auf 1,25 Millionen.

Viertens wurde unter Grube die Nachtzugsparte zuerst auf Verschleiß gefahren und dann, wie erwähnt, am 11. Dezember 2016 komplett aufgegeben – nach mehr als 120 Jahren Tradition!

Fünftens war es unter Grube, dass nun auch der Güterverkehr auf der Schiene in eine Existenzkrise geriet. Im vergangenen Herbst verkündete Grube, dass weitere 173 Güterbahnhöfe de facto geschlossen und 2000 Beschäftigte in diesem Bereich abgebaut werden.

Sechstens gab es in der Grube-Ära eine unsägliche Verschlechterung der Infrastruktur. Die Pünktlichkeitsquote im Fernverkehr sank auch nach der (deutlich geschönten) Grube-Statistik auf 75 Prozent. Auf der Verbindung Stuttgart – München benötigt man wegen des schlechten Zustands der Infrastruktur heute 23 Minuten länger als 1994. Als absurder „Ausgleich“ wird dann für 4 Milliarden Euro eine zerstörerische Neubaustrecke über die Schwäbische Alb gebaut, um Zeitverluste wettzumachen, die man mit einem Bruchteil dieser Summe dadurch hereinholen könnte, dass man endlich die Infrastruktur auf dieser Verbindung in Ordnung bringt.

Und dann, als Todsünde Nummer sieben: Grube als Rampensau bei Stuttgart 21. Jetzt sagt der Kollege Grube ja: „Also ich hätte Stuttgart 21 nicht gemacht.“ Wir wissen und sagen: Dieser Mann, der sich gerne als „ehrlichen 3 hanseatischen Kaufmann“ bezeichnet, sagt hier die Unwahrheit. Grube gab doch bei Stuttgart 21 von Anfang bis zum Schluss die Rampensau. Er war ganz vorne dabei, als am 2. Februar 2010 der Baubeginn mit dem Anheben eines Prellbocks begangen wurde. Und er war ganz vorne dabei, als am 16. September 2016 versucht wurde, die Grundsteinlegung für den Tiefbahnhof zu feiern (was in Euerm Protestlärm weitgehend unterging). Grube hat doch auch immer das demagogische Argument bedient, Stuttgart 21 bringe Verbesserungen. Er war es, der in einem Brief an die „Lieben Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“ mit Datum 10. Februar 2010 schrieb: „Der Kopfbahnhof in Stuttgart bildet ein Nadelöhr auf einer der wichtigsten Ost-West-Achsen Europas.“ Grube tat sogar so, als würde der Stuttgarter Bevölkerung mit S21 etwas geschenkt; O-Ton Grube: „Stuttgart 21 ist ein einmaliges Geschenk an die Stadt. Damit tritt Stuttgart aus dem Verkehrsschatten heraus.“ Grube war auch intern ein Stuttgart-21-Einpeitscher. Er sagte laut dem Hamburger Abendblatt mit Datum 15. November 2010 – das war also nach dem blutigen Donnerstag im Schlossgarten – im Kreis von Hamburger Managern und Wirtschaftsleuten: „Das Ding muss durchgezogen werden. Ich ziehe das durch. Wenn wir in Stuttgart nur einen Millimeter nachgeben, dann fliegen uns in Deutschland alle Infrastrukturprojekte um die Ohren.“ Grube war es auch, der zusammen mit Kefer und Pofalla im Frühjahr 2013 dafür sorgte, dass die neue Anhebung der S21-Kosten um zwei Milliarden auf 6,8 Milliarden Euro im Aufsichtsrat eine Mehrheit fand. Und Grube behauptete im Herbst 2016 wahrheitswidrig, er kenne keinen BundesrechnungshofBericht zu Stuttgart 21. Er kennt ihn. Und in diesem Bericht steht, dass sich die S21-Kosten nochmals auf rund zehn Milliarden Euro erhöhen und dass es möglich sei, dass Stuttgart 21 am Ende „keine Betriebsgenehmigung erhält“. Schließlich behauptete Grube, der KPMG-Bericht, den diese Prüfgesellschaft für den Aufsichtsrat der Bahn erstellte, würde die entscheidenden Rahmenbedingungen, die die DB bei Stuttgart 21 sieht, bestätigen. In Wirklichkeit wird in diesem Bericht festgestellt, dass insbesondere die Risiken, die es bei den Tunnelabschnitten durch Anhydrit gibt, letzten Ende nicht beherrschbar sind. Liebe Freundinnen, liebe Freunde, es bleibt die spannende Frage: Warum macht sich der Kollege Bahnchef derart vom Gleisacker? Warum schrieb er in dem hier ein letztes Mal zitierten Brief an die „lieben Kolleginnen und Kollegen“: „Es tut mir leid, dass ich diese Entscheidung treffen musste.“

Wenn die Beschreibung des Grube-Abgangs, die man in der Süddeutschen Zeitung lesen konnte, zutrifft, dann war diese Entscheidung keine spontane. Vielmehr riecht es nach einem abgekarteten Spiel. Schmierenkomödie eben. Am Wochenende vor der AR-Sitzung vom 6. Januar gab es zwischen Grube und dem Aufsichtsratsvorsitzenden Felcht eine Einigung, wonach Grubes Vertrag um drei Jahre verlängert wird zu gleichem Gehalt und ohne Abfindungsregelung im Fall eines vorzeitigen Abgangs. Am Morgen des 6. Januars wurde diese Einigung auch im Präsidium des Aufsichtsrats besprochen und abgesegnet. In diesem sitzen Felcht und Kirchner, der EVG-Chef. Der Aufsichtsrat hatte dann eine Tischvorlage für diesen Tagesordnungspunkt – Grube war anwesend – auf der eben dies festgehalten wurde: drei Jahre Verlängerung. Dann meldete sich als erster Jürgen Grossmann, der im Aufsichtsrat für die Kapitalseite sitzt. Er äußerte Kritik an der Performance der DB und schlug vor, nur zwei Jahre Verlängerung zu vereinbaren. Darauf meldete sich ein Vertreter „der Arbeitnehmerbank“ – wer, ist unklar – mit einer ähnlichen Forderung. Darauf wurde die Tischvorlage „im Sekretariat“ neu verfasst; nunmehr umformuliert auf „zwei Jahre Verlängerung“. Grube schlug nun vor, mit sofortiger Wirkung als Bahnchef auszuscheiden. Das wurde im Aufsichtsrat beraten (die SZ schreibt, dieser habe sich dazu „zur Beratung zurückgezogen“). Nun stimmte der Aufsichtsrat diesem Grube-Vorschlag zu –„einstimmig“, wie es heißt. Was heißen dürfte, dass Grube noch eine satte Abfindung erhält. Jetzt muss man noch nachtragen, dass Grossmann mit Grube befreundet ist. Dass der Ex-Chef von RWE und Ex-Chef der Georgsmarienhütte zu der alten Seilschaft mit Namen „frogs“ gehört – den „friends of Gerhard Schröder“. EVG, SPD, Großmann, Grube – das ist eine Schiene. Und das riecht nach abgekartet. 4 Ich wage die Behauptung: Grube geht, um sich aus der Schusslinie herauszunehmen. Er geht so, wie Hany Azer 2012 gegangen ist. Er geht so, wie Volker Kefer Ende 2016 gegangen ist. Und er geht so, wie demnächst der Aufsichtsratschef Utz-Helmuth Felcht gehen dürfte. Dann wäre niemand mehr ganz oben bei der Bahn vertreten, der in den letzten sechs Jahren maßgebliche Verantwortung für Stuttgart 21 hatte. Im Klartext: Die Ratten wollen nicht an Deck sein, wenn das Stuttgart-21-Schiff in bedrohliche Schräglage gerät und zu sinken droht. Sie wollen vor allem nicht an Deck sein, wenn Anklagen gegen BahnObere wegen Untreue drohen. Der Straftatbestand Untreue greift unter anderem dann, wenn ein Projekt, das nachweislich unwirtschaftlich ist, von den Verantwortlichen im Wissen um diese Unwirtschaftlichkeit weiter betrieben wird. Und ein Monsterprojekt, • das bis zum Jahr 2008 2,5 Milliarden Euro kosten sollte, • dessen Projektkosten im Finanzierungsvertrag vom 2. April 2009 auf 4,526 Milliarden Euro begrenzt wurden, wobei dies als „fester Kostendeckel“ bezeichnet wurde, was auch zum Erfolg der S21-Befürworter bei der Volksabstimmung beitrug, • dessen Projektkosten am 5. März 2013 auf 6,5 Milliarden Euro angehoben wurden, was erneut als absolutes und endgültiges Maximum deklariert wurde, • dessen Gesamtkosten sich inzwischen auf rund zehn Milliarden Euro aufaddieren, wenn die unterschiedlichen Mehrkosten, die der Bundesrechnungshof in seinen neuen Prüfberichten aufführt, Berücksichtigung finden, ein solches Projekt ist unwirtschaftlich. Wird ein solches Projekt weiter betrieben, obgleich es eine gesetzmäßige, sinnvolle Alternative gibt – und die wäre ein Ausstieg bzw. jetzt das Programm ‚Umstieg 21‘ – dann erfüllt das den Tatbestand der Untreue. Aktuell geht es darum, dass bei der Staatsanwaltschaft ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren in Gang kommt wegen Untreue. Das wird sich demnächst klären. Sodann hat das Gericht über dessen Zulässigkeit zu entscheiden und gegebenenfalls einen Verhandlungstermin zu bestimmen. Liebe Freundinnen, liebe Freunde, und was heißt das für uns? Für uns, die wir – mit oder ohne bäuerlichen Hintergrund – gelernt haben, was „Geradlinigkeit“ und „zu seinem Wort stehen“ bedeuten? Für diejenigen unter uns, die seit zehn Jahren diesen massenhaften Kampf gegen das Monsterprojekt führen (2007 wurden erstmals 67.000 Unterschriften gegen Stuttgart 21 gesammelt und im Oktober 2007 übergeben – für einen ersten Stuttgart-21-Bürgerentscheid). Für uns, die wir seit sieben Jahren die Montagsdemonstrationen durchführen. Für uns, die wir riesigen Respekt vor denen haben, die nunmehr im siebten Jahr und im siebten Winter die Mahnwache betreiben, die dort Tag und Nacht Präsenz zeigen. Für uns heißt das: Erst recht neue Hoffnung schöpfen. Neuen kreativen Widerstand entwickeln. Und schlicht und einfach: oben bleiben!

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