Stuttgart21 – Fildererörterung

Beitrag der Schutzgemeinschaft Filder e.V. zur Fildererörterung im Mai 2021

Das Regierungspräsidium lässt sich bei der Fildererörterung durch Bahn und Politik missbrauchen, und die grün-schwarze Koalition fährt mit ih-rer Tunnelmanie die eigenen Klimaziele an die WandSteffen Siegel: Heute treten wir, das sind Frank Distel und Steffen Siegel, mal zu zweit auf. Einer allein könnte das absurde Theater um die Erörterung des Filderabschnitts von S21 gar nicht ertragen.

Wir vertreten die Bürgerinitiative„Schutzgemeinschaft Filder“ (SGF).

Wir haben in den über 50 Jahren des Bestehens unserer BI schon viel Schlimmes erlebt, u.a. die brutale Zerstörung einzigartig fruchtbarer Böden durch den Flughafenausbau, dieMesse, die Bundesautobahn, krebsartige Erweiterungen der Kommunen und vieles mehr. Doch S21 erweist sich zunehmend als noch irrsinniger als alles bisher Erlebte. Vor nunmehr 27 Jahren, im Jahr 1994 wurden die Stuttgart-21-Pläne der Öffentlichkeit präsentiert, mit dem Bonbon, dass S21 nichts, gar nichts koste, da man ganz S21 durch die dann zu verkaufenden darüber liegen-den Gleisflächen finanzieren könne. Jeder wusste, dass das völliger Quatsch war! Erst 8 Jahre später, im Jahre 2002, also vor 19 Jahren,stellte die Bahn einen Antrag auf Planfeststellung des Filderabschnitts 1.3, worauf das Eisenbahnbundesamt (EBA) immer wieder sagte, dies sei so nicht genehmigungsfähig. Gemeint war vor allem der Mischverkehr – Regionalzüge, Schnellzüge und S-Bahnen – auf der S-Bahnstrecke von Rohr zum Flughafen. Um zu erkennen, dass dieser Mischverkehr nicht geht, weil er sowohl den S-Bahn-Betrieb als auch den Betrieb der Gäubahnen massiv beeinträchtigt, genügen eigentlich die vier Grundrechenarten. Ja und? Die machen trotzdem weiter. Und dann passiert wieder 8 Jahre nichts! Schließlich, im Jahr 2010sprachVerkehrsminister Ramsauer (CSU) eine windige, jeder geltenden gesetzlichen Vorgabe widersprechende, befristete Ausnahmegenehmigung aus. Wir dachten: Jetzt geht’s richtig los mit dem Planfeststellungsverfahren. Aber, bis heute, 2021 – also weitere 11 Jahre lang – nichts, nichts, nichts! Inzwischen sagte die Bahn (Grube), ab 4,7 Mrd. Euro wird das Gesamtprojekt unwirtschaftlich. Und obwohl man heute bei der Bahn alles mit weit über 8 Mrd. schönrechnet, baut und trickst man hemmungslos weiter.Jahrzehntelang wurden Fakten ignoriert, aber eben auch Fachleute wie Steinborn, Hohnecker, ja sogar Hei-merl wurden ignoriert, und intelligente Ideen von uns machte man arrogant nieder. Die Ergebnisse der Schlichtung und des Filderdialogs, nämlich die Gäubahnen weiterhin über die Panoramastrecke nach Stuttgart fahren zu lassen, wurden zugunsten des bescheuerten Mischverkehrs beiseite gewischt. Es wurden erfolglos Planverfahren eingeleitet, Gerichte bemüht und das Jahrhundertprojekt S21 verherrlicht. Also immer weiter so! Seitvielen Jahren wird die Eröffnung des Erörterungsverfahrens für 1.3b in Halbjahresabständen bis heute immer wieder angekündigt und weiterverschoben – aus unerfindlichen Gründen. Doch vor kurzem dämmerte den Machern in Berlin, dass Stuttgart 21 niemals funktionieren würde, und so kamen sie darauf, eine ganz neue Trasse auf den Fildern vorzustellen, den Bilgertunnel. Dazu fehlen noch alle entscheidenden Daten, und da fragt man sich: Warum musste man gerade jetzt plötzlich hektisch diese Erörterung durchführen? In einer Messehalle, vier lange Tage und das zu Coronazeiten? Mehrere Gruppen und wichtige Persönlichkeiten – so auch die großartigen Juristen Dieter Reicherter und Dr. Lieber – hatten ihre Teilnahme vorzeitig abgesagt und in eindrücklichen Briefen die Veranstalter (das Regierungspräsidium) 1 ab 21.12.2020 wegen Corona-Pandemie jeweils Montags, 18 Uhr, wieder online: dringend ersucht, das Verfahren aus Gesundheitsgründen zu verschieben. Als Antwort kam nur eine klare Ablehnung.Bei der Erörterung sollte drei Tage über die seit vielen Jahren verschleppte, untragbare „Antragstrasse“ gesprochen werden und dann nur einen Tag über unvollständige „Varianten zur Antragsplanung (u.a. Gäubahntunnel), großräumige Varianten und Planrechtfertigung“, nicht aber über die naheliegende Lösung, die Führung über die Panoramastrecke.Dagegen haben wir von der Schutzgemeinschaft Filder im Vorfeld schriftlich protestiert und wenigstens das Vorziehen der Alternativen und prüfbare Pläne zum Bilgertunnel eingefordert. Das wurde am ersten Verhandlungstag klar abgelehnt. Daraufhin und wegen der Coronagefahren verließen die meisten Umweltgruppen unter Protest die Veranstaltung. Erst am vierten Tag kamen einige trotz Gesundheitsbedenken zurück, um nicht den lobbyhörigen Tunnelfetischisten alleine das Feld zu überlassen. Doch nun Frank zu den mehr inhaltlichen Fragen.

Frank Distel: AntragstrasseSteffen hat es angedeutet: Die Führung der Gäubahn über die S-Bahn-Strecke ist an Murks und Problempunkten kaum mehr zu toppen:

•An der Rohrer Kurve kommt es durch die knappen Zeitfenster von nur 2 Minuten bei der Zusammenführung von Gäubahnen aus Süden und den S-Bahnen aus Stuttgart zu häufigen, verspätungsaufbauenden Konflikten, namentlich bei den regelmäßigen Verspätungen.•Der Mischverkehrsstrecke fehlt jede Zukunftsfähigkeit bei der politisch gewollten Steigerung der Bahn-nachfrage. Sie ist schon beim beschlossenen 15-Minuten-Takt der S-Bahn überlastet. Mit der vorgesehenen Taktverdoppelung des Zürich-IC ist die Mischverkehrsstrecke vollends störanfällig. Überall im deutschen Bahnnetz beseitigt man Mischverkehrsstrecken; hier schafft man eine neue – auf einer wichtigen Strecke des Transeuropäischen Bahnverkehrs:

Schwachsinn Nr. 1!

•Der Tunnel vor dem Flughafen ist ausschließlich für S-Bahn-Verkehr ausgelegt. Nach 8-jährigem, entlarvend peinlichem Streit zwischen Bahn und Bundesverkehrsministern hat 2010 Minister Ramsauer ohne sachliche und fachliche Grundlage unter politischem Druck eine bis 2035 befristete Ausnahmere-gelung für die Nutzung auch durch Regio- und Fernzüge erlassen. Wir nannten das damals eine Ram-sauerei, weil das allen Regelwerken der Bahn widerspricht. Verkehrsminister Scheuer hat dann im Handstreichverfahren (anstatt in einer Planfeststellung) die Ausnahme entfristet und durch einen Widerrufsvorbehalt ersetzt. Dagegen klagen wir zurzeit!•Nun ist am Flughafen die Neubaustrecke und der „Bergbauschachtbahnhof“ unter der Messe im Bau. Extrem unkomfortabel, 200 m von den Terminals und der S-Bahn entfernt, 27 m unter Tage, ohne eine Rolltreppe, nur mit lahmen Aufzügen und einem 10-stöckigen Treppenhaus:

Schwachsinn Nr. 2!

•Der „Bahnhof 3. Gleis“,der das Bahnchaos retten sollte, ist nur eingleisig und daher im Gegenverkehrs-betrieb extrem störanfällig bei den alltäglichen Verspätungen, weil beim zeitnahen Zusammentreffen auch Gegenzüge viele Minuten lang anhalten müssen. Gefährlich bei Versagen von Stoppsignalen, was im deutschen Eisenbahnnetz auch täglich vorkommt. Im Notfall, so die Bahn „fährt man eben in einer Richtung durch das S-Bahn-Terminal.“ An diesem Unsinn ist übrigens schon die erste Planfeststellung 2014 gescheitert:

Schwachsinn Nr. 3!

Dieses krachende Scheitern der Antragstrasse hat nun auch der Bund bemerkt und Staatssekretär Steffen Bilger präsentiert der staunenden Öffentlichkeit – den Tunnellobbyisten wunschgemäß folgend – den Gäubahntunnel („Bilgertunnel“): Immerhin beweist die schiere Existenz dieser Planungsidee nachdrücklich, welcher 20jährige Krampf hier wider besseres Wissen zur Planfeststellung vorgelegt wurde. Der „Bilgertunnel“ löst zwar die meisten Probleme der Antragstrasse, lässt aber entscheidende Mängel ungelöst und fügt dramatisch neue hinzu: •So fahren die Gäubahnen weiterhin durch den brandgefährlichen Fildertunnel und den erwiesenermaßen unterdimensionierten Tiefbahnhof, der mit täglich ca. 120 gleichzeitig doppelt belegten Bahnsteigenden angestrebten Deutschlandtakt bei Verspätungen endgültig zerschießt.Neu hinzu kommt, dass die Gäubahnfahrgäste jetzt auch noch in den beim Umsteigen extrem unkom-fortablen Bahnhof unter der Messe gezwungen werden. Dessen Kapazität ist mit nur zwei Gleisen durch das Hinzukommen der Gäubahnen verkehrlich nicht mehr ausreichend und schon gar nicht zukunftstauglich:

Schwachsinn Nr. 4!

•Der Bau weiterer zurzeit diskutierten Tunnelröhren bei S21 verursacht ¾ Mio. Tonnen klimaschädliches CO2,eine unerträgliche Größenordnung im Lichte der längst heraufgezogenen Klimakrise! Damit wird der vielbeschworene Klimaschutz der Koalitionäre erneut zu einer leeren Worthülse!•Die Unterbrechung der Gäubahnzwischen Vaihingen und Stuttgart Hbf. würde sich auf mindestens 12, wahrscheinlich sogar auf 15 Jahre erstrecken; das ist unzumutbar für Schweizer Fahrgäste und Gäubahnanrainer:

Schwachsinn Nr. 5!

•Die Nutzen-Kosten-Rechnung von Bilger ist in empörender Weise schöngerechnet, u.a. wieder mit dort nie fahrenden Güterzügen. Bei tatsächlich über 2 Mrd. € Kosten seines Tunnels liegt der Nutzen-Kosten-Faktor meilenweit unter „1“ und müsste daher durch den Rost fallen.•Das Abhängen von Böblingen und vor allem von Singen und damit des gesamten westlichen Boden-

seeraums vom Fernverkehr nach Stuttgart ist eine inakzeptable Verschlechterung des Bahnangebots: Schwachsinn Nr. 6!Solch eine milliardenteure Schnapsidee soll nun die Filderprobleme lösen und den versprochenen Deutsch-landtakt gewährleisten?

Schwachsinn Nr. 7!

Einzig wirklich vorzugswürdige Lösung, den verfahrenen Karren aus dem Dreck zu ziehen, ist der Erhalt der Gäubahn auf der Panoramastrecke:•am schnellsten realisierbar; •mit Abstand am kostengünstigsten!•Mit Neigetechnikzügen genauso schnell von Böblingen am Hbf wie beim Gäubahntunnel und schneller als bei der Mischverkehrstrasse!•Das so wichtige S-Bahn-Notfallkonzept ist weiterhin möglich, und es besteht die Chance einer Express-S-Bahn in 19 Minuten vom Hbf. zum Flughafen.•Unsere Lösung ermöglicht vor allem eine viel schnellere Realisierung von Wohnbauquartieren schon Ende der 20er Jahre mit städtebaulich verträglichem Abstand zum teilweise bleibenden Gleisvorfeld. Anders bei S21, wo man frühestens ab 2035 an Baubeginn denken kann. Niemand kann heute vorher-sagen, ob man in den 40er Jahren noch die geplanten 10.000 Wohnungen benötigt. Damit ist das Fest-halten der Stadt an der Bebauung des gesamten Gleisvorfelds ein nicht kalkulierbares finanzielles Ri-siko und daher ein Verstoß gegen die Regeln verantwortungsvoller Haushaltsführung!•UND: nur mit weiteren Kopfgleisen nähert sich der Tiefbahnhof wenigstens annähernd einem taugli-chen Taktfahrplan.Dies alles durch die Politik fortwährend zu ignorieren ist – Ihr ahnt es schon –

Schwachsinn Nr. 8!

„Brandschutz“des Gesamtprojekts: S21 hat im Gegensatz zu den vielen Eisenbahntunneln in Deutschland ein brandgefährliches Alleinstellungsmerkmal. Mit dem 11-km-Bilgertunnel und dem 10-km-Nordzulauftun-nel besteht das bahnbetrieblich unterdimensionierte Bahnknötchen Stuttgart aus über 100 km eingleisigen Tunnelröhren. Wehe, wenn in einem der Tunnel ein Zug in Brand gerät – Zugbrände passieren mehrmals im Jahr in Deutschland! Und die Bahn wendet hier nur die Mindeststandards ihrer Regelwerke an, wo vorsor-gend weitaus mehr geboten wäre!Weitere Sonderstellung: Bei S21 folgt ein Tunnel direkt dem nächsten oder mündet in einem Tiefbahnhof, nach dem sich wieder direkt ein Tunnel anschließt! Ziemlich ausgeschlossen, dass ein brennender Zug aus dieser Tunnelorgie aus eigener Kraft ins Freie kommt! Laut Auswertung der per Klage durch die Ingenieure22 erstrittenen Dokumente der Bahn wurde bei Zugbrand im Tunnel zwar die Rauchausbreitung simuliert, die Evakuierung von 1.750 Fahrgästen in angeblich 15 Minuten (!) aber für ein Kaltereignis– ohne Berücksichti-gung von Panik und Mobilitätseingeschränkten! Damit ist bei dieser extremen Tunneldichte das Rettungskonzept im Brandfall untauglich – und verstößt,obwohl laut Bahn den Regelwerken entsprechend, menschenverachtend gegen das Grundrecht auf Schutz des Lebens vor Schaden und Gefahr!Mein Fazit: Das ganze Stuttgart 21 ist von vorne bis hinten und von unten bis oben SCHWACHSINN!Es wäre die allerhöchste Zeit, aus schierer Vernunft die Notbremse zu betätigen, mindestens aber ein Moratorium zu beschließen.

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