Im Jahre 1973 schrieb der Schriftsteller Gerhard Zwerenz (1925 – 2015) den Roman „Die Erde ist unbewohnbar wie der Mond“. Darin beschreibt er die moderne Stadt aus Glas und Beton mit ihrem Oben und Unten, A- und B-Ebenen, Banken, Konzernen und Behörden. Im Vorspann des Buches heißt es: „Mitten in der Stadt höhlen sie die Erde aus, Platz zu schaffen: oben den Kraftfahrzeugen und Menschen und unten den U-Bahn-Zügen und Menschen. Der oberen A-Ebene fügt die untere B-Ebene sich bei, die immer riesiger anwachsende Untergrundschlucht, wo Winter und Kriege sich überdauern lassen und die Internationale des Umsatzes neue Phantasiereiche erschließt. Sehr nur, im bunten Neonlicht der Unterwelt erstrahlt euer Zukunftsreich, vor dem alle Metaphern [bildhafte Vergleiche] erblassen. Die Metropole gräbt einen Schacht ins Erdinnere, ihren apokalyptischen [dem Untergang entgegenstrebenden] Wünschen einen geografischen Ort zu geben: Heimat B-Ebene. In den Katakomben [unterirdische Räume] von St. Urbania [Bild für die moderne Stadt] leben Lemuren aus Fleisch und Blut.“
„Lemuren“ waren in der Vorstellungswelt der Römer vor 2.000 Jahren die Schattengeister der Verstorbenen. Ohne es zu wissen, schrieb Zwerenz damit vor fast 50 Jahren einen bildhaften Vergleich für Stuttgart 21. Hier wird der seit Jahrzehnten gut funktionierende oberirdische Kopfbahnhof, in dem die Reisenden ankommen, in einen unterirdischen Durchgangshalt verwandelt, in dem die Menschen im Reich der Lemuren aussteigen.
Ist Ihnen dieses Bild zu hochgestochen? Nun, schon die Bibel beschreibt in der Genesis die menschliche Selbstüberhebung durch den Turmbau zu Babel. Nur dass unser Stuttgarter Turm nicht nach oben geht, sondern nach unten.
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