Demokratische Prozesse wie S21-Schlichtung, Filderdialog oder Erörterungsverfahren erinnern mich immer an Feuerwehrautos auf einem Kinderkarussell. Die Bürger dürfen darin Platz nehmen, das Lenkrad in alle nur möglichen Richtungen kurbeln, die Hupe drücken oder das Blaulicht einschalten. Im Grunde haben sie alle Freiheiten. Nur die Richtung, die das Feuerwehrauto fährt, können sie nicht beeinflussen. Manche Leute halten solche demokratischen Prozesse darum gar nicht für so arg demokratisch. Dabei hat doch niemand gesagt, dass etwas das demokratischer Prozess heißt, auch unbedingt demokratisch sein muss. Die DDR hieß ja auch Deutsche Demokratische Republik. Und? Hat deshalb irgendjemand die DDR für demokratisch gehalten? Also! Für Entscheidungen sind eben andere Leute zuständig und das aus guten Gründen:
1. Die Entscheider wissen schon, was sie tun
2. Die Bürger verstehen sowieso nicht, worum es geht
3. Wo kämen wir denn da hin.
Die Fildererörterung ist ein schönes Beispiel dafür. Laut Definition soll in einer Erörterung ein eigener Standpunkt zu einer Fragestellung gefunden und argumentativ dargelegt werden. Das zeigt doch schon, dass es dabei gar nicht um den Stopp von S21 gehen konnte. Wer das glaubte, hat von Demokratie keine Ahnung. Natürlich durfte man sagen, was an S21 schlecht ist. Darum dauerte die Erörterung ja auch ganze 11 Tage. Aber was auch immer zu kritisieren sein mag, das Projekt wird jetzt gegen die Wand gefahren. Bestenfalls Geschwindigkeit, Ort und Zeitpunkt des Aufpralls können noch variiert werden. Wie in besten DDR-Zeiten. Da gab es auch einen Plan der festgelegt hat, wieviel Ausschuss zu produzieren ist. Und dieser Plan musste eingehalten werden. Alles andere wäre aus demokratischer Sicht auch fatal. Schließlich müssen sich die Investoren auf Deutschland verlassen können. Sollte der Eindruck entstehen, wir könnten uns im eigenen Land keine Megaflops mehr leisten würde das ein bedenkliches Licht auf unsere Finanzlage werfen. Deutschland ist doch stark und soll ruhig zeigen, dass wir uns jeden Scheiß leisten können.
Außerdem würde es dem Ansehen unserer Ingenieure schaden, wenn wir sie überteuerten und unbrauchbaren Mist nur noch im Ausland bauen ließen. Man könnte dann leicht glauben, wir würden gezielt die Bautätigkeit im Ausland sabotieren wollen. Missbrauch von Ingenieuren als eingeschmuggelte Zeitbomben sozusagen.
Sehen wir also die Fildererörterung als Zusatzrunde im Feuerwehrauto des Demokratiekarussells. Nach Schlichtung, Volksabstimmung, Filderdialog und GWM-Erörterung durften wir weitere 11 Tage mitfahren. Sogar einen grünen Ministerpräsidenten durften wir einst wählen. Selbst das hat übrigens nicht die Richtung unseres Feuerwehrautos ändern können. Ein Riesenerfolg für die Demokratie. Zeigt das doch, dass die Politiker gemeinsam mit uns auf dem Kinderkarussell sitzen und auch nicht viel mehr Entscheidungsmöglichkeiten haben als wir Bürger. Das ist echte Demokratie. Bürger und Politiker sitzen im selben Karussell und keiner hat was zu sagen.
Berlin und Hamburg hatten da übrigens, mit BER und Elbphilharmonie, viel weniger Spaß. Aber diese Projekte tun am Ende ja auch nicht so weh wie S21. Für aufquellenden Gipskeuper, Gebäudeschäden, Verlust des Mineralwassers und nachhaltiges Bahn-Chaos im Nah- und Fernverkehr, haben wir uns ein paar Runden mehr auf dem Karussell doch auch redlich verdient. Und bezahlen müssen wir schließlich auch genug dafür.