Ein Genosse aus Filderstadt hat einen Brandbrief an die Parteispitze geschreiben.
Lieber Nils, lieber Claus, lieber Wolfgang,
was muss eigentlich noch passieren, bis Ihr seitens der SPD Baden-Württemberg gemeinsam mit Eurem größeren Koalitionspartner endlich die Weichen für einen Ausstieg aus diesem verantwortungslosen Wahnsinn namens „Stuttgart 21“ stellt? Wie viele Steilvorlagen dieser unsäglichen DB AG braucht Ihr eigentlich noch, bis Ihr endlich bereit seid, die erdrückenden
Fakten gegen „Stuttgart 21“ anzuerkennen und den einzig richtigen Schluss zu ziehen, nämlich ENDE mit S 21?
Der Kostendeckel ist längst gerissen! Die Steuerzahler im Land würden es Dir, lieber Nils, nicht vergessen, wenn Du in Deiner Verantwortung für die Finanzen des Landes umschwenkst, denn Land, Stadt Stuttgart, Region und die vier beteiligten Landkreise bezahlen Stuttgart 21 – bei Bewertung aller Finanzierungsströme – ganz alleine, während die Bahn und damit der Bund an diesem Milliardengrab Geld verdienen. Dies übrigens umso mehr, je teurer das Projekt wird. 6, 7, vielleicht am Ende sogar 8 Milliarden für einen
schlechteren, weitaus gefährlicheren und weniger zukunftssicheren Bahnhof als wir heute haben! Übrigens wäre durch einen Ausstieg auch der Landeshaushalt viel leichter zu konsolidieren – und zwar ohne – wie schon so oft – den Beamten in die Tasche zu langen.
Auch politisch seid Ihr durch Euer unverständliches Festhalten an einem längst gescheiterten Projekt ins Abseits geraten:
- Die Kommunalwahl in Stuttgart hat die SPD im Sog der bürgerlichen S21-Verblendeten sang und klanglos verloren; anderswo sind wir bestenfalls auf der Stelle getreten;
- die Landtagswahl habt Ihr mit dem schlechtesten Wahlergebnis aller Zeiten grob fahrlässig vergeigt, obwohl schon damals klar war, welche Fehlplanung „Stuttgart 21“ in Wirklichkeit ist;
- die OB-Kandidatur von Bettina Wilhelm (die persönlich am Wenigsten dafür kann) ist desaströs gescheitert – und Ihr habt nichts daraus gelernt, außer der zähneknirschenden (aber richtigen) Wahlempfehlung für Fritz Kuhn.
- Der Filderdialog war die schiere Farce einer viel zu späten Bürgerbeteiligung, spätestens an deren Ende die Beteiligten sich nur noch an der Nase herumgeführt fühlen mussten. Dies vor Allem, weil die dennoch mit überraschend großer Mehrheit zustandegekommene Empfehlung vernunftbegabter Bürger für eine weitaus bessere und vermutlich sogar kostenneutrale Lösung mit den fadenscheinigsten Begründungen beiseite gewischt wurde. Und zwar ohne die Überlegungen und Kombinationsmöglichkeiten unserer Lösungsvorschläge auch nur ansatzweise seriös geprüft zu haben!
Eure Durchhalteparolen wirken auf mich und viele enttäuschte Genossinnen und Genossen nur noch lächerlich. Sich jetzt noch auf das mit Lug und Trug der bürgerlichen Seilschaften zustandegekommene Ergebnis der Volksabstimmung oder gar auf den Parteitagsbeschluss von Karlsruhe zu berufen, ist völlig daneben, weil die Grundlagen für diese Entscheidungen inzwischen durch die zahllosen Pannen der Bahn längst obsolet sind. Besser: schon damals
größtenteils obsolet waren!
Ich erspare mir die vollständige Aufzählung der zahllosen Pleiten und Pannen dieser dilettantischen Bahn. Fest steht, dass wir Gegner und unsere Fachleute bis jetzt ausnahmslos mit sämtlichen Prognosen Recht behalten haben – und es ist leicht vorherzusehen – weiterhin Recht behalten werden.
Es ist längst offensichtlich, dass sich die Bahn in jeder Hinsicht an diesem bahnbetrieblichen Schwachsinn verlupft; und dazuhin die Stadt an ihrer städtebaulichen Fehlplanung. Nicht einmal mit bedrückendst – desaströser Verdichtungsarchitektur wird Stuttgart auch nur in die Nähe einer Amortisation der Kostenanteile kommen, die durch die Stadt am Ende beigesteuert werden müsste. Von den zahllosen weiteren Risiken, die erst im Laufe des Baus sichtbar werden, will ich hier gar nicht mehr reden; auch diese, unsere Befürchtungen werden nach allen bisherigen Erfahrungen weitgehend eintreffen.
Mein persönlicher Standpunkt wird Euch erfahrungsgemäß nur wenig berühren. Ich nenne ihn trotzdem: für DIESE SPD werde ich bei den kommenden Wahlen keinen Finger mehr krumm machen – wenn Ihr weiterhin stur an dieser Fehlplanung festhaltet. Würde ich – wie früher – aktiv an Standaktionen mitwirken, dann müsste ich um meiner Selbstachtung willen empfehlen, die SPD NICHT zu wählen. Das will ich Euch und meinen Freunden in Ostfildern lieber ersparen. Das Einzige, was Ihr zurecht von mir noch erwarten dürft ist, dass ich mein Mandat als Stadtrat der SPD in meiner Heimatstadt weiterhin stets seriös und sachlich fortführe.
So weit habt Ihr es mit Eurem sturen Festhalten an diesem stadtzerstörenden Wahnsinn gebracht. Ihr seid die Spalter der SPD Baden-Württemberg; nicht wir (zahlreichen) Mitglieder, die wir aus fundierten fachlichen Gründen gegen Stuttgart 21 sind!
Das nun wirklich Allerletzte ist die vernichtende Brandschutzexpertise – fast wortwörtlich, wie wir es vorausgesagt haben. Und das Schlimmste dabei: die Probleme sind angesichts der äußerst beengten Breiten der Bahnsteige und der entsprechend viel zu schmalen Auf- und Abgänge im neuen Tiefbahnhof faktisch gar nicht zu beheben. Um mir weitere Worte zu ersparen, habe ich Euch die heutige Pressemitteilung des BUND einkopiert. Dieser ist nichts
hinzuzufügen:
Planungschaos und mangelhafter Brandschutz:
BUND fordert sofortigen Baustopp von Stuttgart 21
Stuttgart. „Wir fordern einen sofortigen Baustopp für Stuttgart 21. Es dürfen keine weiteren Fakten geschaffen werden, die zur faktischen Unumkehrbarkeit des Projektes führen. Vor allem muss die Bahn auf die noch in diesem Jahr geplanten Baumfällungen im Rosensteinpark verzichten“, sagte BUND-Landesvorsitzende Dr. Brigitte Dahlbender anlässlich der vernichtenden Kritik der Gutachter am Brandschutzkonzept der Bahn für den geplanten Tiefbahnhof. „Es stellt sich die Frage, ob die Bahn das Projekt überhaupt
im Griff habe. Mangelhafter Brandschutz, Änderungen am Grundwassermanagement, Planungschaos auf den Fildern, technische Mängel im Gleisvorfeld – die Probleme häufen sich. Aus unserer Sicht ist die technische Realisierbarkeit von Stuttgart 21 massiv in Frage gestellt“, so Dahlbender. Die Mängel kommen für den BUND nicht überraschend. Dahlbender erinnert daran, dass der Brandschutz bereits während der Erörterungsverhandlungen zur Planung des Tiefbahnhofs vor fast zehn Jahren massiv kritisiert wurde. Auch 2010 während der Schlichtungsgespräche konnte die Bahn die Kritik am Brandschutz nicht ausräumen. Dahlbender verweist darauf, dass der Schlichterspruch von der Bahn eine zwingende Berücksichtigung aller Forderungen der Stuttgarter Feuerwehr fordert.
„Ungeheuerlich und politisch absolut inakzeptabel ist, dass die Projektpartner von dem brisanten Brandschutzgutachten erst aus den Medien erfahren haben und nicht direkt von der Bahn unterrichtet wurden“, kritisiert Dahlbender. Die Bahn habe aus den Erfahrungen der Vergangenheit nichts gelernt und verfolge nach wie vor die Strategie, unangenehme
Wahrheiten so lange wie möglich zu vertuschen. „Die Projektpartner Land, Stadt und Region Stuttgart dürfen sich nun nicht länger von der Bahn auf der Nase herumtanzen lassen, sondern müssen jetzt Flagge zeigen und die Reißleine ziehen“, so Dahlbender. Die Frage der Einhaltung des vereinbarten Kostenrahmens müsse endlich auch geklärt werden. Nach Ansicht des BUND ist die Kostenobergrenze längst überschritten.
Wacht endlich auf, Genossen an der Parteispitze! Ihr habt viel zu lange auf das falsche Pferd gesetzt!
Frank Distel